Sankt Martin – eine Charakterskizze

Heute ist Martinstag.
Es dunkelt früh. Laternen. Lieder. Gänsebraten.

Seit meiner Teenagerzeit war das Martini-Gänse-Essen ein besonderer Tag im frühen Winter. Ich bin kein all zu großer Fan von alten Traditionen und Routine, bin nicht konservativ und nicht katholisch.
Aber die Geschichte des zukünftigen Bischofs der sich sehr humorvoll im Gänsestall versteckt und dann (noch schwarzhumoriger!) nach dem Verrat beschließt alljährlich eine Gans zu verspeisen, hat es mir irgendwie angetan.

Und es ist noch etwas erfrischend Wahres an dieser Figur: Martin ist zugleich empathisch, aber auch zurückhaltend. Er hat Mitgefühl für den frierenden Alten, ist aber selbst kein Mann großer Worte und reitet nach der Mantelteilung einfach davon.
Das kann leicht als Arroganz oder Desinteresse ausgelegt werden, zumindest verwirrt es. Nur passen Zuschreibungen wie Arroganz und Desinteresse überhaupt nicht zu der Tat, für die er keine andere Motivation als Nächstenliebe gehabt haben kann.
Aber genau so eine falsche Zuschreibung passiert, glaube ich, relativ oft:
dass man die Gesten (vermeintlich) starker, großer, reicher Personen negativ auslegt, weil man sich als Zuschauer nicht vorstellen kann, dass dieser stattliche Mensch sich in der Situation einfach nicht anders zu verhalten wusste. Dass der Gönner selbst schüchtern oder einfach vorsichtig ist.
Als ich “Martins Hort” schrieb, hab ich mich diesmal gar nicht weiter mit dem Namen des Protagonisten auseinandergesetzt – wie gesagt, gab es schon eine Skizze der Figur, bevor ich anfing daran zu arbeiten. Wahrscheinlich hätte ich aus freien Stücken einen anderen Vornamen gewählt.

Heute sehe ich aber, dass er doch recht gut passt. Denn Martin ist zweifelsohne sehr hilfsbereit und einfühlsam (geht auf die Bitte der anstrengenden Tante ein, möchte dem Kind eine Freude machen), aber ohne dabei seine eigenen Grenzen zu übertreten. Wie der Heilige Martin auch: er gibt so viel, dass es für beide reicht, dass er selbst auch noch ein wärmendes Mantelteil behält.

Ein aufopferungsvoller und sagen wir mal “plakativer” Gutmensch mag diese Handlung als zu wenig empfinden.
Ich hingegen finde, sie zeigt wahre Größe.
Er gibt nicht mehr als er nicht verkraften kann. Damit übernimmt er nicht nur Verantwortung für den Bedürftigen, sondern auf einer Metaebene auch noch für sich selbst.
Denn wäre Martin ganz ohne Mantel weiter geritten, wäre er selbst bald in Gefahr gewesen und hätte Hilfe von außen gebraucht. So aber zeigt er: ihr müsst euch nicht um mich kümmern, ich passe auf mich selbst auf. Ich weiß wie viel ich geben kann, ohne das Pendel ins andere ungesunde Extrem ausschlagen zu lassen. Das finde ich wirklich bemerkenswert.

3 thoughts on “Sankt Martin – eine Charakterskizze

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